Fachwerk-Horror

3568 Accesos | Última modificacion 27 oct 2016 - 15:53:26 Por Laetitia Siebert

Alt-Hamburg, Foto von Dr. Mark NerlingDie Favelas des alten Hamburg

Es ist eigentlich ein Wunder, dass Fachwerk oft so idyllisch gesehen wird. Die Idee vom "Alten" trägt leicht die Tendenz zur Idealisierung in sich. Das ist die Gegenbewegung zu der eigentlich sehr hamburgischen Neigung, Altes in Bausch und Bogen über den Haufen zu werfen. Die Zerstörungen von 1943 kamen manchen Planern ganz gelegen, konnten sie nun doch ihre Vorstellungen verwirklichen. Doch auch in einer Stadt, die Behutsamkeit auf ihre Fahnen geschrieben hätte, wäre das alte Hamburg eine harte Nuss gewesen.

Es ist eine generelle Frage, ob wir die Wohnungen der Menschen am Stadtrand besser aufgehoben sehen. Die vergangenen Jahrhunderte haben das nicht bezweifelt; Licht, gute Luft und die Nähe des Grüns wurden als Wohltaten für die Bevölkerung bejubelt. Diese revanchiert sich heute teils durch dankbare Annahme der neuen Quartiere; teils aber besteht auch ein Zug in die Stadt hinein. Die jungen berufstätigen Stadtbewohner -- das mal als Übersetzung von Yuppies zu verstehen -- leben gern in den alten Stadtteilen. Ottensen, die alte Fischer- und Werftarbeiterstadt, hat sich in einen der beliebtesten Stadtteile verwandelt, in dem man auch unzulängliche Altbauwohnungen mühelos an den Mieter bringt.

Das alte Hamburg war auch schon vor dem Bombardement von 1943 unrettbar verloren. Das war es zum Teil deshalb, weil die Stadtväter die an sich richtige Konsequenz aus der Cholera von 1892 zogen, nämlich die alten Quartiere zu sanieren.

Stade

Auch in anderen Städten, wie hier in Stade, war die enge Bebauung Folge der durch Stadtmauern eingegrenzten Stadtfläche. Damit war den alten Innenstädten schon die Axt an die Wurzel gelegt.

Hamburger Neustadt, Foto von Dr. Mark NerlingGab es Alternativen?

Wäre es möglich gewesen, die Bewohner lediglich mit Kanalisation und gutem Trinkwasser zu versorgen, was die Hauptursache der Seuche -- die Nähe von Abort und Brunnen zueinander -- beseitigt hätte? Wäre eine behutsame Sanierung, die die Bewohner der alten Straßen nicht verdrängt hätte, denkbar gewesen? Hätte man jede zweite Reihe abreißen können, um Licht zu schaffen, hätte man in dem entstandenen Freiraum Gärten über neuen Anlagen zur Kanalisation und Wasserversorgung anlegen können? Hätte man die Buden umbauen können, so dass größere Wohnungen entstanden wären?

Stadthaus von 1780           So hätte man große Teile der alten Elendsviertel herausputzen können -- auch eine Option für Sanierung...

Wohnhaus vom Typ "Bude" Wir sehen links ein typisches althamburgisches "Sahlhaus" im Bäckerbreitergang in der Neustadt. Die mittlere Tür öffnet sich zu einer unmittelbar hinter der Tür beginnenden, steilen Treppe ("Hühnerleiter") in den Oberstock, die flankierenden Türen öffnen sich zu den Erdgeschoss-Wohnungen. Ein Konzept, das den heutigen Wohnvorstellungen kaum anzupassen ist. Oder war das nur eine Frage des Wollens?
Nicht ganz.

 

 

Die wahren Gründe für den Massenabriss

1. Es rechnete sich nicht. Der wirtschaftliche Druck, der auf Quadratmetern der City lastet, erlaubt einfach keine niedrig bebauten Flächen, die nur Peanuts an Mieten einbringen. Der Handel wurde international, auch durch die Kolonien.
Die großen Unternehmen des späten Kaiserreiches brauchten große Büroflächen.
Vor diesem Hintergrund wird klar: Es wäre nicht möglich gewesen, die Verdrängung dieser Bevölkerungsschicht zu verhindern.
Die Legende vom großen Erbarmen des Senats mit der von Cholera geschüttelten Einwohnerschaft, die jedem amerikanischen Touristen erzählt wird, ist knapp ein Drittel, nicht einmal die halbe Wahrheit.

Handel mit den Kolonien -- stilgerecht in Szene gesetzt

Das war es, was im Kontorviertel gebraucht wurde: Kaufmännische Representation mit exotischem Touch.
Das Afrikahaus stammt aus einer Zeit, als auch Deutschland bei den Kolonialmächten mitreden konnte.

 

2. Die Gänge waren polititsch unliebsam. Sie waren schon im Kaiserreich schwer kontrollierbar. Diese Gassen waren schon lange voller Verstecke, in deren Kellern mit ihren geheimen Durchbrüchen man mühelos der Polizei entkam.
Die Menschen waren nicht gefragt worden, wie sie zu wohnen wünschten. Weder hat man beim Bau dieser Massenquartiere am Beginn der Industrialisierung berücksichtigt, welche Bedürfnisse die Bewohner haben würden, noch hat man sich zu Beginn der Sanierungen gefragt, wohin sie ausweichen könnten. Der politische Druck, der sich daraus aufbaute, ging denn auch logischerweisen von diesen Straßen aus.

Wie man sich aber in der Peterstraße ansehen kann, ist es durchaus möglich, die alten Quartiere zu Wohnungen umzubauen, in denen Menschen auch heute leben können. Es war eine Frage des politisch Gewollten, die Straßen um und um zu wühlen und die Strukturen zu zerschlagen, die einen Widerstand hätten beherbergen können.

Neue Fachwerkbauten in der Neustadt

Stiftswohnungen in Rekonstruktionen in der Peterstraße

 

 


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